Die Fundamentalkritik von Papst Franziskus am Wirtschaftssystem, sozialer Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung schlägt weiter Wellen. Beim parlamentarischen Frühstück, zu dem das weltweit größte Hilfswerk der Katholischen Kirche Misereor und das NGO-Bündnis Klima-Allianz eingeladen hatten, gab es für Regierungspolitiker deutlich mehr zu schlucken als nur Kaffee und Brötchen.
Vorgestellt wurde den Abgeordneten des Bundestages die Enzyklika “Laudato Sí – Über die Sorge für das gemeinsame Haus”, die nach der ersten Sozialenzyklika “Rerum novarum” von 1891 das erste Weltpapstrundschreiben zu Gesellschaftsfragen ist, und die sich auf 107 Seiten ausführlich und lesenswert mit dem Verhältnis von Produktion, Mensch und Umwelt auseinandersetzt. Die wesentlichen Grundzüge der Papstschrift stellte Markus Büker, Referent für Theologische Grundsatzfragen bei Misereor vor. Der Mensch habe sich daran gewöhnt zu glauben, er sei der Herrscher und Eigentümer der Welt und damit berechtigt, sie auszuplündern, rügt Franziskus.
Wer die Schöpfung zerstöre, der handle gegen die göttliche Schöpfung. Die Enzyklika atmet die Luft der Armenviertel von Buenos Aires, wo der argentinische Kirchenführer vor seiner Wahl auf den Chefsessel des Vatikan wirkte. Die Opfer von Umweltzerstörung und Raubbau an der Natur sind die Armen im globalen Süden. “Die dringende Herausforderung, unser gemeinsames Haus zu schützen, schließt die Sorge ein, die gesamte Menschenfamilie in der Suche nach einer nachhaltigen und ganzheitlichen Entwicklung zu vereinen, denn wir wissen, dass sich die Dinge ändern können”, erweitert Franziskus den theologischen Dreiklang der Beziehungen von Person, Gemeinschaft und Gott um die vierte Säule der Umwelt, erklärte Büker. In einem Anschlussreferat führte Christoph Bals von der NGO Germanwatch zur Bedeutung der Enzyklika für die anstehenden Klimaverhandlungen in Paris, die Energiewende und den Kohleausstieg ein. Die entsprechende Stelle im Text: “165. Wir wissen, dass die Technologie, die auf der sehr umweltschädlichen Verbrennung von fossilem Kraftstoff – vor allem von Kohle, aber auch von Erdöl und, in geringerem Maße, Gas – beruht, fortschreitend und unverzüglich ersetzt werden muss. Solange es keine weit reichende Entwicklung erneuerbarer Energien gibt, die bereits im Gang sein müsste, ist es legitim, für das geringere Übel zu optieren oder auf Übergangslösungen zurückzugreifen.”
Wer nachliest kann sich selbst überzeugen, wie kritisch der Vatikan dem kapitalistischen Markt gegenübersteht: “In diesem Zusammenhang muss immer daran erinnert werden , dass „der Umweltschutz […] nicht nur auf der Grundlage einer finanziellen Kostennutzenrechnung gewährleistet werden [kann]. Die Umwelt ist eines jener Güter, die die Mechanismen des Markts nicht in der angemessenen Form schützen oder fördern können. Wieder einmal ist es gut, eine magische Auffassung des Marktes zu vermeiden, die zu der Vorstellung neigt, dass sich die Probleme allein mit dem Anstieg der Gewinne der Betriebe oder der Einzelpersonen lösen. Ist es realistisch zu hoffen, dass derjenige, der auf den Maximalgewinn fixiert ist, sich mit dem Gedanken an die Umweltauswirkungen aufhält, die er den kommenden Generationen hinterlässt?”
Und auch zur Post-Wachstumsdebatte gibt der Latino Saures: “Wenn diese Fragen aufgeworfen werden, reagieren einige mit der Anschuldigung, man wolle gegen alle Vernunft den Fortschritt und die menschliche Entwicklung aufhalten. Wir müssen uns jedoch davon überzeugen, dass die Verlangsamung eines gewissen Rhythmus von Produktion und Konsum Anlass zu einer anderen Art von Fortschritt und Entwicklung geben kann. Die Anstrengungen für eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen sind kein nutzloser Aufwand, sondern eine Investition, die mittelfristig andere wirtschaftliche Gewinne bieten kann.
Ein in Lateinamerika viel beachtete Rede von Franziskus vor Bauern- und Sozialbewegungen in Bolivien lesen Sie hier.
“Der neue wie der alte Kolonialismus, der die armen Länder zu bloßen Rohstofflieferanten und Zulieferern kostengünstiger Arbeit herabwürdigt, erzeugt Gewalt, Elend, Zwangsmigrationen und all die Übel, die wir vor Augen haben… und zwar aus dem einfachen Grund, weil er dadurch, dass er die Peripherie vom Zentrum abhängig macht, ihr das Recht auf eine ganzheitliche Entwicklung verweigert.”