Flüchtlinge, Klima und Twitter im Bundestag: Das Einmaleins der Klimaforschung

Rede am 28.01.2016 zum TOP 11 Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für ein Rahmenprogramm für Klima und Klimafolgenforschung Drs. 18/7048

Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass Politik von der Vernunft geleitet werden muss, Entscheidungen also auf der Grundlage von Wissenschaft und Fakten zu treffen hat, muss eigentlich nicht erst erklärt werden. Das ist eine Binsenweisheit. Gerade beim Klimawandel gibt es aber offensichtlich noch immer große Wissenslücken. Nach dem Klimaschutzabkommen von Paris Ende Dezember ist nun der richtige Zeitpunkt, hier darüber zu reden. Die Linke unterstützt diese vernünftige Initiative, weil die Linke eine Partei der Vernunft und des Klimaschutzes ist.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Lachen bei der CDU/CSU und der SPD)

Eine Kernforderung des Antrags ist die Stärkung von Interdisziplinarität, also der Verknüpfung von Wissen aus den Teilbereichen Verwaltung, Naturwissenschaften, Gesellschaftswissenschaften und Zivilgesellschaft, also dort, wo es darum geht, die Ursachen, Wirkungsweise und Folgen einer Wirtschaftsweise zu verstehen, die zum großen Teil noch immer auf Kohle, Gas und Erdöl beruht. Was bedeutet Interdisziplinarität, und warum ist diese so wichtig? Das Gegenteil von Interdisziplinarität ist der Tunnelblick. Hier ein Beispiel: Ausgerechnet ein Kollege aus dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, Herr Lengsfeld von der CDU/CSU, erklärte auf Twitter – ich zitiere -:

Junge Männer/Jugendliche aus #Marokko, #Algerien ‚fliehen‘ nicht vor Bürgerkrieg, werden auch nicht vertrieben. Kommen zum Geldverdienen.“

Kommentar zu Flüchtlingen von Phillip Lengsfeld (CDU) (Bild: Screenshot/Twitter/@plengsfeld)

Im Plenum: “Das steht da aber nicht! Das ist falsch!” Der Twitter-Kommentar zu Flüchtlingen von Phillip Lengsfeld, CDU (Bild: Screenshot/Twitter/@plengsfeld)

(Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Das steht da aber nicht! Das ist falsch!)

Die Nordafrikaner in Deutschland hätten rein egoistische Gründe, es gehe ihnen um das Geldverdienen.

Die Welt ist aber nicht so einfach. Wenn wir in der Lage sind, etwas komplexer zu denken, sehen wir die Welt anders. Der Grund für Migration ist erstens immer egoistisch. Es geht um Selbsterhaltung. Das sagt uns die Biologie. Zweitens sind das Geldverdienen und das Geldausgeben Grundpfeiler des Kapitalismus. Das sagt uns die Volkswirtschaft. Es sind drittens in Nordafrika die Männer, die Geld verdienen und es nach Hause in ihre Heimat schicken müssen. Das sagen uns Soziologie und Ethnologie. Starkes Bevölkerungswachstum, Armut, soziale Ungleichheit, Jugendarbeitslosigkeit und ein schwacher Staat sorgen viertens für Instabilität. Das sagen uns Politikwissenschaft und Demografie.

Und fünftens: Wegen seiner geografischen Besonderheit und Position im Mittelmeerraum gehört Algerien heute zu den Ländern der Erde, deren Bevölkerung die Konsequenzen des Klimawandels am meisten zu spüren bekommen. Bei 1 200 Kilometern Küste und einer Fläche, die zu fast 90 Prozent Wüste ist, sind sowohl das Ansteigen des Mittelmeeres als auch die Ausdehnung der Sahara ein Problem. Der Klima-Risiko-Index stuft Algerien darum als Risikoland ein. Das sagen wiederum Geografie und Meereskunde.

Der Klimawandel hat einen verstärkenden Effekt, und die Erderwärmung sorgt für noch mehr Druck, lässt Felder verdorren, Böden versalzen. Die Menschen gehen in die Städte, finden keine Arbeit und werden so zu Migranten, zu Klimaflüchtlingen.

Es ist eben ein bisschen komplizierter, als manche sich das vorstellen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir die Welt um uns herum aber nur mit einem Tunnelblick anschauen, dann interpretieren wir sie falsch und treffen am Ende in der Politik falsche Entscheidungen. Wenn dann in der CDU noch Stimmen laut werden, die ein Ende der erfolgreichen Förderung von erneuerbaren Energien fordern und die Verteidiger der Energiewende als ökologisch getriebene Ideologen abkanzeln, wie es der CDU-Wirtschaftsrat formuliert oder es der Energiebeauftragte der Union, Kollege Bareiß, sagt, und die Protestbriefe ans Kanzleramt verfassen, dann kann ich nur sagen, dass das Einmaleins der Klimaforschung in der Union noch nicht beherrscht wird.

Wir stimmen also dem Antrag zu; er ist dringend notwendig.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Video zur Rede sehen Sie hier.