Sonnabend, 19:28 Uhr, es ist so weit. “L’accord de Paris, il est accepté!”, spricht Frankreichs Außenminister und Präsident der 21. Konferenz der Vertragsstaaten der UN-Klimarahmenkonvention (COP21) Laurent Fabius der versammelten Staatenwelt ins Mikrofon. Seine Stimme ist erstaunlich ruhig, noch herrscht Anspannung auf dem Gipfelgelände. Doch dann, ins Satzende, bricht sich lauter Jubel im “La Seine”, dem Saal der Vollversammlung auf dem Flughafengelände von Le Bourget, seine Bahn. Stehender Applaus bei MinisterInnen, Delegationen, VerhandlerInnen aller Kontinente. Zu freuen gibt es mehr als genug. Über 20 Jahre liegen hinter dem “Klimaprozess”. Zähe Verhandlungen, bittere Enttäuschungen, kleinste Tippelschritte liegen hinter den KlimadiplomatInnen.
Fachleute die meisten, viel zu oft belächelt für ihre Paragraphen-Manie, ihr Fachkauderwelsch, ihren langweiligen Kampf um Adjektive, Klammern und Klimaschutz-Mechanismen. Viel Häme auch für die immer neuen Beteuerungen, dass Klimakonferenzen in Durban, Cancún und Kopenhagen keine sinnlosen Quasseltreffen seien, bei denen am Ende eh nichts Neues herauskomme als noch mehr Treibhausgase, ausgestoßen in die angekratzte Atmosphäre von der COP-Karawane bei ihren Reisen rund um den Globus.
Ein Meisterstück der Diplomatie, attestieren Beobachter, sei den französischen Gastgebern da gelungen. Die letzten Minuten vor der Akklamation des Pariser Abkommens, kurz bevor Fabius den Meilenstein sozial-ökologischer Weltpolitik verkündet, strahlen seine Mitarbeiterinnen im Rücken des Berufsdiplomaten mit der braunen Lederaktentasche bereits über alle Ohren. Eine kleine Verzögerung hatte Minuten davor für Last-Minute-Nervosität gesorgt. Washington will auf der Zielgeraden ein hartes Verb “shall” in ein weiches, weniger verbindliches “should” abändern. Die Türkei sträubt sich, und die Öl-Scheichs aus Saudi-Arabien würden sich komplett querstellen. Feilschen bis zuletzt. Dann geht alles ganz schnell, das Nachfolgeabkommen von Kyoto kann ab 2020 in Kraft treten. Fabius setzt mit dieser Allgemeinen Erklärung der Klimarechte nicht nur einen glamourösen Schlusspunkt hinter seine Karriere. Das Klacken des kleinen Holzhammers, den der Konferenz-Präsident auf die Holzplatte vor sich schlägt und der die Einigung offiziell verkündet, läutet einen neuen, einen historischen Abschnitt in der Klimaweltpolitik ein.
Rettet der Klimavertrag von Le Bourget jetzt das Weltklima? Hat sich die interessengeleitete Staatenwelt in Paris tatsächlich zu einer Weltgemeinschaft zusammengerafft, die den Klimawandel als ernste Gefahr für den Planeten anerkennt und gemeinsam handelt? Ein Blick in die 31 Seiten des Vertragswerks und auf die harte Realität von Politik und Wirtschaft lassen erahnen, dass die Konferenz von Paris ein Meilenstein ist, aber eben auch keine Schlusskonferenz war.
Auf der Haben-Seite steht das 2-Grad-Limit. Erstmals haben sich alle Staaten der Erde auf dieses Minimalziel des Klimaschutzes verpflichtet. Ab 2050 solle die Weltwirtschaft “klimaneutral” über die Runden kommen. Worauf vor Paris niemand einen Lolli gewettet hätte: Selbst das 1,5-Grad-Limit, wenn auch in abgeschwächter Formulierung, hat es in den Vertragstext geschafft. Es ist dieser Korridor zwischen 1,5 bis 2 Grad, den die Wissenschaft als Erderwärmung definiert, die noch zu verantworten wäre. Überschreitet die Menschheit diese Rote Linie, ist es so wahrscheinlich, dass wir auf einen Klimakollaps mit katastrophalen Folgen zusteuern, wie ein Sieg des FC Bayern gegen Tasmania Berlin.
Aber das Pariser Abkommen droht eine Lebenslüge zu begründen. Schon heute hat sich die Erde gegenüber der vorindustriellen Zeit um nahezu ein Grad erwärmt. Das 1,5-Grad-Limit im Abkommen könnte als Knallpatrone in die Geschichte einzugehen, die nur laut zerplatzt statt ihr Ziel zu treffen. Alle Klimaschutzpolitik im Abkommen ist freiwillig. Die von den Regierungen vorgelegten Klimaschutzziele sind in der Summe zu schwach. Der Völkerrechtsvertrag ist ein Minimalkonsens. Eine globale Energiewende, weg von Kohle, Öl und Gas, wurde nicht erklärt. Der “Schwur von Elmau”, bei denen die G7-Staaten eine “Dekarbonisierung” angekündigt hatten, ist aus dem Papier von Paris getilgt. Stattdessen soll eine “Balance” zwischen dem Ausstoß und der Speicherung von Klimagasen in der zweiten Jahrhunderthälfte erreicht werden. Es darf kompensiert werden. Ein Kohleschlot kann dann weiter qualmen, mit CCS-Technik, mit mehr Wald oder durch Geo-Engineering soll die CO2-Bilanz ausgeglichen werden. Auch Atomkraft bleibt übrigens weiter im Rennen, und auch in Le Bourget warben Energiefirmen wieder schamlos für Kernkraftmeiler als “klimafreundliche Energie”.
Und auch das muss gesagt werden: Der “Accord de Paris” erinnert frappierend an Selbstverpflichtungserklärungen der Wirtschaft. Die zwar imagemäßig gut dastehen will, ohne sich jedoch auf Konkretes zu versteigen. Gut, vielleicht war nur durch die Unverbindlichkeit eine Einigung in Paris möglich. Aber wie die Klimaneutralität erreichen, wenn die freiwilligen Klimaschutzziele der Staaten derzeit schnurstracks auf eine Erwärmung bis zu 3 Grad Celsius führen? Eine kleine Rechnung zeigt, wie schnell jetzt gehandelt werden muss. Um die Zwei-Grad-Leine nicht zu reißen darf die ganze Weltwirtschaft seit 2011 insgesamt nur noch 1000 Gigatonnen CO2 ausstoßen. Die nationalen Klimaschutzbeiträge (INDC) führen zu 800 Gigatonnen bis 2030. Für die 20 Jahre bis 2050 reichen die restlichen 200 Gigatonnen niemals. Die Inselstaaten sind dann schon untergegangen. Die Korallenriffe abgestorben, denn das passiert bei 1,5 Grad mehr auf dem Thermometer. Die im Vertrag festgehaltenen Finanzzusagen der Industriestaaten reichen bei Weitem nicht aus, um die Mammutaufgabe Energiewende, Anpassung an den Klimawandel und Entschädigung für entstandene Schäden in den Entwicklungsländern zu schultern.
Schon ziehen erste Wolken auf. Gleich nach Fabius Schlussformel haben die klimaskeptischen Republikaner in den USA, dem zweitgrößten CO2-Emittenten der Welt, einen harten Kampf gegen das Abkommen angekündigt. Ratifizieren nur zwei große Klimasünder-Staaten nicht, tritt das Abkommen wegen der Klausel, dass mindestens 55 Parteien mit 55 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen das Abkommen ratifiziert haben müssen, ab 2020 nicht in Kraft. Ihre jüngsten, ersten vorsichtigen Schritte für weniger Kohlekraftkraftwerke werden sich China und Indien dann sicher nochmal genauer unter die Lupe nehmen.
Das Abkommen von Paris ist der letzte Startschuss. Global denken, lokal handeln muss das Motto bleiben. Die EU muss ihre Klimaziele nachbessern. Deutschland muss raus aus der Kohle, wofür ein nationales Klimaschutzgesetz sorgen soll. Und es muss dem großen Verschmutzer Verkehr an den Kragen, der seit 1990 seine Klimabilanz nicht verbessert hat. Es braucht Klimaschutz per Gesetz, nicht per Akklamation. Darum will die Linke ein Klimaschutzgesetz, mit ambitionierten Zielen, die dem 1,5-Grad-Limit entsprechen. Die Regierungen dieser Erde, die Merkels, Gabriels und Seehofer dieser Welt, seit dem Wochenende müssen sie sich am Accord von Paris messen lassen. Machen wir die Allgemeine Erklärung der Klimarechte zu konkretem Klimaschutz.
Das Pariser Abkommen ist hier zu lesen (Englisch):
http://unfccc.int/resource/docs/2015/cop21/eng/l09r01.pdf