Nach der großen Party von Paris war die erste Klimakonferenz nach Inkrafttreten des Weltabkommens vielleicht ein etwas zu leiser Anfang. Zur Umsetzung des globalen Ziels, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius, wenn möglich unter 1,5 Grad zu halten, fehlen noch immer neue, klare Regeln und wirkungsvolle »Instrumente«, wie unter KlimaverhandlerInnen trocken heißt. Gut, jedem war klar, Marokko würde ein sehr technisch-formaler Gipfel werden.
Es wurden Transparenzregeln verhandelt: Was zählt als eine Tonne eingespartes CO2, was nicht? Wie vergleichen die Staaten ihre freiwilligen Klimaschutzziele? Was passiert mit Fonds wie den Anpassungsfonds, ein »Instrument« des auslaufenden Kyoto-Protokolls? Wie werden Klimagelder »mobilisiert«? Aus Einnahmen des am Boden liegenden globalen CO2-Handelssystems oder durch Zahlungsverpflichtungen der Staaten? Wie können die Staaten angehalten werden, ihre Klimaziele zu verschärfen, was alle fünf Jahre in einem »Ambitionsmechanismus« passieren soll? Marrakesch war als Gipfel der Taten gestartet. Und ist als ein Gründungsgipfel neuer Arbeitsgruppen gelandet.
So unübersichtlich, so gut: Das Pariser Klimaabkommen war nicht ein Schlussstrich der Klimadiplomatie. Im Gegenteil. Der Weltvertrag wird erst 2020 wirksam. Bis dahin muss weiterverhandelt werden. Am Morgen gibt Staatssekretär Jochen Flasbart Presse und Abgeordneten eine Zusammenfassung der COP22. Auch der Klimaexperte des Umweltministeriums muss zugeben, dass die konkreten Ergebnisse für die Außenwelt eher schwer zu erklären sind. Statt von knallharten Früchten der zwei Verhandlungswochen will er lieber von einem »Arbeitsprozess«, von »Arbeitsstrukturen«, die »geschafften worden sind«, um die Vereinbarung von Paris auf den Weg zu bringen, sprechen. Zumal die erste Konferenz der Staaten, die dem Pariser Klimavertrag beigetreten sind, die CMA1, vertagt wird. Um 2017 wieder zusammenzutreffen und dann 2018, wenn alle Staaten der Erde hoffentlich an Bord sind, erste Beschlüsse zu fassen.
Im November 2017 wird die Klimaszene dafür wieder zusammentreffen. Dann in Bonn, hier hat Deutschland den Sitz des UN-Klimasekretariats inne. Und weil in Marokko kein Staat aus Asien, der Kontinent wäre eigentlich mit der Ausrichtung der nächsten Klimakonferenz dran, die Hand gehoben hat, fällt den Deutschen die Organisation und Finanzierung in den Schoss. Die Präsidentschaft und politische Führung hat erstmals ein Inselstaat, dem wegen des steigenden Meeresspiegels das Wasser bis zum Hals steht. Für die deutsche Klimapolitik ist die Ortswahl trotzdem ein Glücksfall. Zeitgleich werden nach den Bundestagswahlen im September die Koalitionsverhandlungen einer neuen Regierung stattfinden. Eine gute Möglichkeit, um sich laut für ein Klimaschutzgesetz, eines Kohleausstieg und mehr Klimaschutz in allen Wirtschaftsbereichen stark zu machen.
Vom Wahlerfolg des Klimaleugners Donald Trump aus den USA und seiner Ankündigung, aus dem Parisvertrag auszusteigen, hat sich die Weltklimaschutz-Bewegung klugerweise nicht in die Wüste schicken lassen. Dennoch wird kritisch und vorsichtig geschaut, wie sich große Player wie China, die Europäische Union und Südafrika verhalten werden. Man munkelt, dass die Chinesen jetzt die Führungsrolle in der Weltklimapolitik übernehmen könnten. Das wäre zu begrüßen. Denn man darf sich nichts vormachen, wenn die Amerikaner als zweitgrößte Klimasünder dem Klimaschutz den Kohle-Rücken zeigen, dann wird es schwierig mit einer globalen Energiewende und Klimagerechtigkeit.
Und auch in Nordafrika sind – wieder einmal – die alten Fronten zwischen Süden und Norden aufgebrochen. Die Industrieländer stellen sich trotz beschworener Solidarität mit den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Ländern des Südens weiter gegen eine schlagkräftige und gerechte Klimafinanzierung. Mit den versprochenen 100 Milliarden US-Dollar an Klimageldern ab 2020 werden vor allem neue Windkraft- und Solaranlagen gebaut, was vor allem der Privatwirtschaft im reichen Norden zu Gute kommt, nicht aber den Opfern von Fluten, Wirbelstürmen und Dürren vor Ort.
Die LINKE fordert echte Klimagerechtigkeit und dafür braucht es eine angemessene Finanzierung für die Anpassung an den Klimawandel. Auch für entstandene Schäden und Verluste müssen genug Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die Herausforderungen für den internationalen Klimaprozess liegen auch nach Marokko weiter auf dem Tisch: Die bisherigen Treibhausgas-Reduktionen führen das Weltklima auf eine Erwärmung von über drei Grad mehr. Eins geht für Deutschland nicht: Auf internationaler Bühne glänzen wollen, aber zu Hause das selbstgesteckte Klimaziel von 40 Prozent weniger Klimagase bis 2020 mangels politischem Willen zugunsten der Exportindustrien zu verfehlen.
Denn wer den Paris-Vertrag beim Wort nimmt, braucht ihn: den Ausstieg aus Kohle, Gas und Öl. Dafür haben in Marrakesch jetzt auch mehr Staaten Unterstützung gefordert. 45 Länder wollen so schnell wie möglich weg von den schmutzigen Energien. Auf der Veranstaltung in Zelt 30 höre ich mir Berichte von Menschen aus Ländern an, die direkt vom Klimawandel betroffen sind. Gleichzeitig lese ich, dass der VW-Konzern 30.000 Beschäftige abbauen will, angeblich steckt die AG in finanziellen Schwierigkeiten, weil die Abgas-Affäre viel, viel Geld kostet. Hier zeigt es sich sonnenklar: Nicht Umwelt- und Klimaschutz vernichtet Arbeitsplätze. Es ist seine Verhinderung, die uns und kommenden Generationen den Nacken bricht, wie auf einem Treffen gestern mit Jugendlichen auch noch mal deutlich wird. Die Konzerne haben den Rachen nicht voll genug bekommen. Und so hat die Manipulation der Abgaswerte auf alle negative Auswirkungen – sozial und ökologisch!
Anstatt auf neue CO2-arme Technologien zu setzen, wettet man frech auf alte Rezepte. Wir brauchen aber eine Gesellschaft, die sich verändert und Klimagase reduziert, und zwar massiv. Das geht nur mit einer sozialen Absicherung und mit neuen, sauberen Arbeitsplätzen. Hier hat der Kapitalismus sowas von versagt.