Unaufhaltsam steigt nicht nur der Meeresspiegel. Auch die Spannung in Paris geht mit jedem Tag in die Höhe. Es ist Donnerstag, Tag Drei der Verhandlungen, an deren Ende am Sonnabend in einer Woche nicht weniger als der neue, als historisch gehandelte Weltklimavertrag stehen soll. Im Bundestag halte ich heute zwei Reden. Auf der Tagesordnung vorm Mittagessen, die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung. Am Abend, nach einer Podiumsdiskussion über Öko-Steuern, eine Debatte zur Förderung klimafreundlicher Kraft-Wärme-Kopplung, wo das Parlament gegenüber dem gruseligen Regierungsentwurf tatsächlich einige Verbesserungen durchsetzen will. Morgen dann mein Antrag zu Paris: Bundesumweltministerin Barbara Hendricks wird eine Regierungserklärung zur Klimakonferenz abgeben. Bin gespannt, ob die SPDlerin wie vor einer Woche nochmal den Kohleausstieg ankündigen wird?
Über das Netz tröpfeln derweil Informationen nach Draußen, und verbreiten sich mühelos rund um den Globus. Die wichtigste Verhandlungsrunde der 196 Staaten in Le Bourget ist zweifelsohne die ADP. Nein, das ist nicht die Alternative Deutscher Deppen. Das ist die »Ad Hoc Working Group on the Durban Platform for Enhanced Action«. Seit dem Gipfel im südafrikanischen Durban 2011 gibt es diese Gruppe. Denn die Klimakonferenzen haben noch weitere »Körper«: Es laufen Verhandlungen zum Kyoto-Protokoll, das noch bis 2020 gilt. Zu Fragen der Umsetzung von Klimaschutz, und es gibt Treffen der wissenschaftlichen Berater. Die ADP schultert allerdings die schwierigste Aufgabe. Sie muss das Pariser Abkommen zusammenschreiben, das dann dem Plenum der Klimakonferenz zur Abstimmung vorgelegt und, wie meistens, unter unglaublichem Zeitdruck zu Ende verhandelt wird. Wobei Ende auch heißen kann, dass es keinen Big Klimadeal gibt.
Wie immer stocken die Klimaverhandlungen gleich zu Beginn des Mammuttreffens. Es wird gepokert, die Stimmung getestet, wie weit gehen die anderen. Auf drei DIN-A4-Seiten lässt sich der künftige Paris-Vertrag jedenfalls nicht kritzeln: Über 1500 Klammern stehen in dem fingerdicken Entwurf. Zwischen jeder Klammer eine Formulierung. Jede Klammer ein Interesse. Jede Klammer eine politische Position. Hinter jeder Klammer kämpft eine Nation, eine Staatengruppe, ein betroffener Wirtschaftszweig oder ein Finanzminister, der kein Geld für Klimafinanzierung oder Erneuerbare Energien rausrücken will, um Vorteile.
Noch geht das Tauziehen in die falsche Richtung, der Vertragsentwurf wächst. Und Wachstum heißt in der Klimadiplomatie Stillstand. War das Klammerkonvolut der Positionen bei den Vorverhandlungen auf der Vorbereitungskonferenz im Genf optimistische 20 Seiten lang, waren es wenige Monate später im herbstlichen Bonn wieder 51. Gefeilscht wird auf diesem größten Basar der Welt um zweierlei: Verpflichtungen und Rechtsverbindlichkeit. Verpflichtet sich China, nicht mehr Entwicklungsland zu sein und damit selbst Klimafinanzierung in armen Ländern zu leisten. Lassen sich die Vereinigten Staaten auf Rechtsverbindlichkeit ein, wenn sie CO2-Reduktionen unterzeichnen? Die grammatikalische Frontlinie völkerrechtlicher Juristerei sind die vielen [shall] and [should]. [Soll] der Unterzeichnerstaat seine Klimaziele melden, oder [sollte] er dies nur tun, dazwischen liegen Welten. Wird das 2-Grad-Ziel erreicht über eine [langfristige globale[Niedrig-[Kohlenstoff][Emissions]Transformation][Klima][Kohlenstoff] Neutralität]], oder über Option 3: [die Parteien erreichen einen Höhepunkt der Treibhausgasemissionen [konkretes Datum][so schnell wie möglich]]. Steht das »C« der nationalen INDC-Klimaschutzpläne für schwache [contributions] oder verpflichtende [commitments] … alles klar? Stündlich ändert sich die Klammernwelt, und wird auf der Webseite des UN-Klimabüros veröffentlicht.
Ist das jetzt alles wichtig? Berechtigte Frage! Grundsätzliche Kritik am Klimagipfel-Business gibt es genug. Gegenfrage. Wenn die USA über 500 hochqualifizierte VerhandlerInnen, ÖkonomInnen, KlimawissenschaftlerInnen, FinanzexpertInnen einfliegen, Japan sogar 600 auf den Pariser Verhandlungsmarathon schickt, und sich die Entwicklungsländer beschweren, dass sie nur drei oder 20 zur Hand haben, und dann in den langen Nächten vom Schlaf übermannt werden, immer dann, wenn es wichtig wird, ist der Kampf um die Klammern dann wichtig, oder nicht?
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