Seit gestern Abend bin ich wieder in Ingolstadt. Meine Mitarbeiter sind heute noch bis zum Mittag in Kopenhagen. Über den Tag telefonieren wir mehrmals, um uns darüber auszutauschen, was in den letzten Stunden der UN-Klimakonferenz passiert ist. Letzte Recherchen vor Ort, Tickermeldungen und der im Internet verfügbare Entwurf einer Abschlusserklärung helfen dabei.
Die Nacht in Kopenhagen muss ein Fiasko gewesen sein. Das Papier, welches die selbsternannte Kerngruppe von 30 Staaten unter Führung Barack Obamas am Vorabend erarbeitet hatte, ist im Plenum zerrissen worden. Und zwar von einigen jener Länder, die nicht zu den Auserwählten zählten.
Gegen 3.15 Uhr morgens erhebt Ian Fry aus Tuvalu im großen Plenarsaal erregt die Stimme. Ein Land, 26 Quadratkilometer groß, 12.000 Einwohner, lehnt sich gegen die USA auf, gegen China, Indien, Brasilien. Der Konsens von rund 30 Staaten, an dem auch Entwicklungsländer beteiligt waren, würde für seine Nation “Den Tod” bedeuten. Das Land fürchtet unterzugehen, wenn die Erderwärmung tatsächlich jene zwei Grad erreicht, die im Kompromissentwurf der 30 als Obergrenze steht, erklärt Fry. Für Tuvalu – das hat der pazifische Inselstaat stets klar gemacht – sind 1,5 Grad Celsius sind das Maximale.
Fry weist anschließend das Geld zurück, das die Industrieländer dem globalen Süden für den Klimaschutz und Anpassung angeboten haben. 30 Milliarden Dollar zwischen 2010 und 2012 sollten es sein, und 100 Milliarden Dollar jährlich ab 2020. Tuvalu werde für keine Summe der Welt, und schon gar nicht für „30 Silberlinge“ sein Volk und dessen Zukunft verraten.
Aber nicht nur die vom Versinken bedrohte Insel geht in Konfrontation. Der Vertreter Nicaraguas spricht von einem “Übernahmeversuch” der Kerngruppe gegen die G-192, also die Vereinten Nationen. Er fordert im Namen von acht Staaten, darunter Kuba und Ecuador, den vorläufigen Abbruch der Konferenz. Sie soll spätestens im Juni 2010 wieder zusammentreten. Venezuelas Vertreterin Claudia Salerno Caldera donnert, die Delegationen hätten nach dem Willen der Kerngruppe gerade einmal 60 Minuten Zeit gehabt, um über den in den Hinterzimmern des Kongresszentrums ausgehandelten Text nachzudenken. Sie spricht von einem “Staatsstreich” gegen die Vereinten Nationen.
Der Sudan erklärt gar, der Westen riskiere mit einer Erderwärmung von zwei Grad die “Auslöschung von Afrika”. Und dies sei etwas Ähnliches wie das, “was einmal sechs Millionen Menschen” in Europa den Tod gebracht habe. Obwohl ich den Kern der Aussage verstehe, halte ich diesen Holocaust-Vergleich für eine unfassbare Entgleisung.
Das Plenum kocht, solche Zustände der offenen Auflehnung solle es noch nie bei der UN gegeben haben. Viele Regierungschefs der Kerngruppe, an die sich die erbosten Botschaften richten, sind allerdings bereits abgereist, obwohl der Text der Erklärung noch gar nicht durchs Plenum ging. Unter anderem sitzt Barack Obama schon im Flugzeug – offiziell wegen erwarteter schlechter Wetterbedingungen.
Die Konferenz wird unterbrochen und um fünf Uhr in der früh wieder einberufen. Jetzt treten einige Staaten den Äußerungen des Sudanesen und der Front der Ablehnung entgegen. Unter anderem die Vertreterin der kleinen Inselstaaten (Aosis), Aber auch Australien, Ägypten, Äthiopien, Spanien, Kanada, Frankreich oder Großbritannien. Die meisten von Ihnen halten den Entwurf der Abschlusserklärung für sehr unvollkommen, aber für legitimiert. „”Wir können diesen Ort nicht ohne etwas Vorzeigbares zu verlassen”, sagt etwa Kevin Conrad, der Klimabotschafter von Papua-Neuguinea.
Selbstverständlich verteidigt und lobt US-Klimabotschafter Todd Stern die Obama fast erzwungene Erklärung, es gebe Fortschritte, so beim Technologietransfer und der Finanzierung. Dann droht er den Aufsässigen, die USA könnten bei Ablehnung den UN-Klimaprozess als Ganzes in Frage zu stellen. Die Entwicklung sei “extrem störend für den Planeten und für die Gesundheit und die Existenz dieser Institution”.
Die Rolle der USA bleibt also bis zum Schluss enttäuschend. Sie führt eine Koalition der Unwilligen an. Dies zeigt sich auch daran, welchen Beitrag die größte Volkswirtschaft der Welt, die mit Abstand den größten Anteil an der Erderwärmung zu verantworten hat, bereit ist, an Finanzierungsleistungen für arme Länder zu übernehmen: Von den versprochenen 30 Milliarden zwischen 2010 und 1012 bietet sie für die Soforthilfe gerade einmal 3,6 Milliarden Dollar an. Das sei etwa ein Drittel des Betrages der EU, „und in etwa das, was die USA alle 60 Stunden für ihr Militär ausgeben“, vergleicht „Spiegel online“ pointiert.
Was die Zustimmung vieler Entwicklungsländer betrifft, so lockt wohl allein die Aussicht auf Milliarden-Transfers. Die ökologische Substanz und Verbindlichkeit der Erklärung kann es nicht sein. Nicht nur den Umweltverbänden, sondern auch jeden im Konferenzsaal dürfte klar sein: Was den Klimaschutz betrifft ist der Text eine Katastrophe.
Weil bei der UN das Einstimmigkeitsprinzip herrscht, reicht die Verweigerung der anderen Gruppe aus dem Süden, um die Erklärung zu Fall zu bringen. Um wenigstens das Gesichts zu wahren, denkt sich die Konferenzführung nun einen Trick aus: Die Erklärung wird am Vormittag vom Plenum nicht abgestimmt, sondern nur „zur Kenntnis genommen“. Die Staaten sollen zu Hause selbst entscheiden, ob sie das Papier unterzeichnen. Statt eines neuen, rechtlich verbindlichen Klimaschutzabkommens haben wir also einmal mehr politische Prosa. Nicht einmal zu einer „Entscheidung“ der COP hat es nicht gereicht, welche wenigstens eine gewisse Verbindlichkeit gehabt hätte (siehe Bericht von gestern).
Ganz klar. Die größte und vielleicht wichtigste UN-Klimakonferenz aller Zeiten ist grandios gescheitert. Das wäre sie übrigens auch, wenn die Staaten die Abschlusserklärung tatsächlich angenommen hätten. Denn abgesehen von den kurzfristigen Finanzzusagen (gelten wenigstens die nun überhaupt?) ist sie nicht das Papier wert, auf dem sie steht.
Und selbst wenn das Papier als Entscheidung der COP verabschiedet worden wäre: Wie bitte schön soll das im Papier enthaltene 2-Grad-Ziel erreicht und der globale Emissionsanstieg bis 2015 gebremst werden, wenn nicht mal mehr der Zeitpunkt des Abschluss eines neuen Abkommens in der Erklärung benannt ist. Dem Text zufolge sollen die Industrieländer lediglich freiwillige Minderungsziele für Treibhausgase bis Ende Januar 2010 international festschreiben. Länderverpflichtungen zu weniger Emissionen sucht man vergeblich.
Der Text kennt überhaupt keine Zahlen zur Minderung des globalen Treibhausgas-Ausstoßes. Nicht global bis zum Jahr 2020 und auch nicht als Langfrist-Ziel bis 2050. Letzteres war wenigstens in den Entwürfen zuvor enthalten; die Emissionen der Industriestaaten sollten bis Mitte des Jahrhunderts um 80 Prozent sinken. Im “Copenhagen Accord” wird dies Ziel aber nicht mehr genannt. Selbst ob die 100 Milliarden ab 2020 für den globalen Süden wirklich fließen ist unklar. Nicht nur weil die Erklärung sicher nur von einem Teil der potentiellen Geber-Staaten unterzeichnet werden wird. Die entscheidende Frage bei der Langfristfinanzierung bleibt bereits im Dokument selbst unbeantwortet: wer zahlt’s?
Die EU und Deutschland haben bis zur letzten Minute lieber gepokert, als durch eine Vorreiterrolle die anderen Länder mitzureißen – sie haben sich verzockt. Warum hat sich die EU nicht frühzeitig zum längst beschlossenen minus-30-Prozent-Ziel bekannt? Rum wollte die Bundesrepublik die Transferzahlungen an die armen Länder mit der Entwicklungshilfe verrechnen? Nein, das war keine Verhandlungsstrategie, sondern nur noch zynisch. Angesichts von Millionen Menschen, deren Überleben schon heute durch den Klimawandel bedroht ist, hätte ich einfach mehr Menschlichkeit erwartet.
Zu den Fotos:
Im Umweltforum protestiert eine Brasilianerin gegen die Ergebnisse der Konferenz.
Die von der UN-Konferenz ausgesperrten NGOs aus aller Welt haben sich in eine alte, aber charmante Lagerhalle in der Nähe des Hauptbahnhofes eingemietet. Hier verfolgen sie an Leinwänden und im Internet die Konferenz und koordinieren ihre Aktionen. Gestern waren sie entsetzt, über das, was aus dem Bella Center nach außen drang.