Zu Beginn der COP20-Weltklima-Konferenz in Perus Hauptstadt Lima ist klar: Im Drehbuch der internationalen Klimapolitik lässt ein Happy End weiter auf sich warten. Die letzten Konferenz-Kapitel erzählen eine Geschichte klimapolitischer Rückschläge: 19 Jahre nach der COP1 in Berlin ist heute so viel CO2 in der Luft wie noch nie in der Menschheitsgeschichte. Der weltweite Kohlenstoff-Ausstoß ist auf historischem Allzeithoch. 2014 wird mit großer Wahrscheinlichkeit das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881. Kann die Klimadiplomatie eine Erderwärmung über zwei Grad noch abwenden?
Ohne Erbarmen tickt die Klima-Uhr runter. 28 Jahre bleiben noch, dann ist die Klimagas-Konzentration nach Berechnungen des UN-Weltklimarates so hoch, dass das 2-Grad-Limit der Erderwärmung endgültig nicht mehr zu halten ist. Was passiert, wenn diese international anerkannte Zielmarke verfehlt wird, ist jedem Tagesschau-Gucker bekannt: Eisschmelze, steigende Meeresspiegel, Dürren, Hochwasser, Rekordsommer, Wirbelstürme, Todesopfer, Millionen von Klimaflüchtlingen und Milliarden an Wirtschaftsschäden. Und: Es sind die Ärmsten der Armen, die am meisten unter dem Klimawandel zu leiden haben.
Auf dem Weg zum “Pariser Abkommen”: Leichter Baiser ohne Füllung
Ungeachtet dieser Terminator-Bilanz bleibt der Grundton der Klimaretter-Gemeinde, ob Regierung, Journalisten oder Chef-Verhandler, weiter ungetrübt optimistisch. Lima sei so gut geplant wie keine Konferenz zuvor. In Südamerika wird der diplomatischen Choreographie folgend der Mega-Event Paris 2015 vorbereitet. Unterm Eifelturm soll die COP21 mit großem Pomp ein Nachfolgeabkommen des Kyoto-Protokolls aufs Papier bringen. Aus Angst vor einer weiteren Blamage wie 2009 in Kopenhagen ist Freiwilligkeit das Wort der Stunde. Die Rechnung ist denkbar einfach: Weil Freiwilligkeit nicht weh tut, macht jeder mit. Bis März 2015 legen alle Staaten auf den Tisch, zu wieviel CO2-Einsparungen sie bereit sind. Diese Selbstverpflichtung soll im „Pariser Abkommen“ zu Völkerrecht werden. Das ganze läuft auf einen leichten Baiser ohne Füllung hinaus: Einzig verpflichtend und bindend werden die einheitlichen CO2-Messmethoden sein. Sanktionsmechanismen für Klimasünder: Fehlanzeige!
Jeder Strohhalm wird zur Trendwende erklärt
Weil die Klimadiplomatie nicht endgültig zur Luftnummer werden will, wird jeder Strohhalm, und sei er noch so klein, zur Trendwende, zum Durchbruch erklärt. Dass Klimabremser wie USA und China endlich zur Vernunft gekommen seien, habe das vor wenigen Wochen geschlossene Klimaschutz-Abkommen zwischen Washington und Peking gezeigt, vermelden Berufsoptimisten und Klimazyniker. Auch dass sich, nach zähem Geschacher zwischen Straßburger Parlament, der Kommission in Brüssel und den Mitgliedsstaaten die Europäische Union als klimafreundlich erwiesen habe. Im Oktober wurde vereinbart, die Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu verringern. Und dass eine jüngste Geberkonferenz in Berlin für den globalen Grünen Klimafonds, aus dem Länder des Südens für den Umstieg auf Erneuerbare und Beseitigung von Klimafolgeschäden ab 2020 immerhin jährlich 100 Milliarden US-Dollar erhalten sollen, „schon“ zehn Milliarden zusammen gekratzt habe, wird als Erfolg verkauft.
“Aggressive” Klimapolitik statt business as usual
So wichtig es ist, dass der Gesprächsfaden auf globalem Parkett nicht abreißt – die good news sind kaum mehr als business as usual. Dabei fordert der Weltklimarat eine “aggressive” Klimaschutzpolitik. Ein spürbares Umsteuern hin zu Erneuerbaren Energien, weg von Öl, Kohle und Atom, ist in Europa nicht in Sicht. Ja, das verbesserte CO2-Reduktionsziel der Vereinigten Staaten geht in die richtige Richtung – doch viel zu wenig und zu spät, um das globale Zwei-Grad-Limit nicht zu überschreiten, zumal die Republikaner-Mehrheit in beiden US-Kammern eine verbindliche Annahme des bilateralen Klimaschutzziels auch nicht wahrscheinlicher macht.
Und der Gelbe Riese? Bis 2030 wird China wegen seines sprichwörtlich atemberaubenden Wachstums jedes Jahr mehr CO2 ausstoßen. Erst dann wollen die KP-Oberen die Reißleine ziehen. Dass das sogar klimagerecht ist, daran besteht kein Zweifel. Chinas historische Klimaschuld ist bei weitem nicht so hoch wie die der Vereinigten Staaten. Wird die ausgelöste Erderwärmung pro Einwohner berechnet, liegt China weltweit auf Platz 19 der Klimasünder. Auch der aktuelle Pro-Kopf-Ausstoß Chinas ist rund halb so groß wie in den USA. Die Verlagerung schmutziger Produktion aus den reichen Industrieländern ins sich entwickelnde China schlägt besonders stark zu Buche. Was andere Länder wie Deutschland und die USA aus China importieren und konsumieren, ist für ein Viertel der chinesischen Treibhausgase verantwortlich.
„Mañana, mañana! Morgen, morgen!“
Und hierzulande? Die Emissionen steigen wieder. 2013 war die Bundesrepublik nach Angaben des Bundesumweltamtes für 951 Millionen Tonnen Treibhausgase verantwortlich und liegt damit gerade mal 24 Prozent unter dem Niveau von 1990. Das Reduktionsziel, bis 2020 40 Prozent weniger CO2 auszustoßen wird aller Voraussicht nach verfehlt. Außenpolitik, also auch die Klimadiplomatie, gründet sich in der Innenpolitik. Hier könnte viel getan werden. Allein das Abschalten der drei schmutzigsten deutschen Kohlekraftwerke Niederaußem und Neurath in Nordrhein-Westfalen und Jänschwalde in Brandenburg würde mehr Treibhausgas einsparen als die Schweiz und Ecuador in einem Jahr zusammen in die Luft pusten. Die Reaktion der Bundesregierung auf die klaffende Klimaschutzlücke legt Zeugnis ab vom neoliberalen Zeitgeist, Ordnungsrecht gilt als Teufelszeug. Industrie und Energieunternehmen werden so weiter sträflich aus der Verantwortung gelassen. Die Große Koalition setzt bei Energieeffizienz und CO2-Reduktionszielen auf Freiwilligkeit der Wirtschaft, was der Streit der letzten Wochen zwischen Bundesumweltministerin Barbara Hendricks und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel über die Reduktionsbeiträge zum heute vorgestellten Klimaaktionsplan zeigt. Die Prioritäten von SPD-Parteichefs sprechen eine deutliche Sprache: Der kurzfristige Schutz des Wirtschaftsstandorts Deutschland geht vor langfristigem Klimaschutz.
„Mañana, mañana! Morgen, morgen!“, mit dieser Haltung kommt man ganz angenehm durch den südamerikanischen Alltag. Ein Aufschieben klimapolitischer Notwendigkeiten aber, um das existentielle Zwei-Grad-Limit zu halten, kann sich die Menschheit schon lange nicht mehr leisten.