Seit mehreren Jahren unterstützt die Bundestagsabgeordnete Eva Bulling-Schröter von den Linken das Projekt „Tagesthemen“ im Caritas-Kinderdorf Marienstein. Zum einen indem sie die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung immer wieder besucht und mit Schülern diskutiert, zum anderen dadurch, dass sie die politisch Interessierten nach Berlin einlädt.
Nach fast zweijähriger Vorbereitung im politisch-geschichtlichen Arbeitsbereich „Tagesthemen“ durften jetzt vier Jugendliche zusammen mit den Betreuern Erwin und Sofie Frey als Teil einer fünfzigköpfigen Wahlkreisgruppe für vier Tage die Bundeshauptstadt besuchen und historische Orte sowie aktuelles politisches Geschehen live erleben.
Neben der obligatorischen Stadtrundfahrt orientiert an politischen Gesichtspunkten (Bundestag, Bundesrat, Kanzleramt, Bernauer Straße, Checkpoint Charlie etc.) öffneten sich für die Besuchergruppe auch die Pforten des neugebauten Bundesinnenministeriums (BMI) in Alt-Moabit.
Ein Pressereferent des BMI gab einen Überblick über den Aufbau des Ministeriums und die Vielzahl der Aufgaben, die von Terrorismus- bzw. Kriminalitätsbekämpfung bis zur Förderung des Sports in Deutschland reichen. Ein Schwerpunkt in der sich anschließenden Diskussion war das Thema Integration. Teilnehmer der Besuchergruppe, die sich in der Integrationsarbeit engagieren, berichten aus ihrer Erfahrung, dass eine schnelle und erfolgreiche Integration in der Praxis oftmals durch Bürokratie und Zuständigkeitsstreitigkeiten erschwert wird.
Politischer Höhepunkt der Fahrt war der Besuch einer Plenarsitzung im Deutschen Bundestag. Von der Besuchertribüne aus erkannten die Schüler ein Reihe Politiker/innen, die sie schon oft in Nachrichtensendungen oder Talkshows gesehen hatten und am Beispiel der Themen „Rentenrecht für DDR-Flüchtlinge“ sowie „Bundeswehreinsatz in Mali“ konnten sie in Rede und Gegenrede den parlamentarischen Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition live mitverfolgen.
Welchem Terminstress Politiker oftmals ausgesetzt sind, erfuhren die Jugendliche an diesem Spätnachmittag am Beispiel Bulling-Schröter, die sich zwischen den namentlichen Abstimmungen im Plenum zum Bundeswehreinsatz in Mali und Somalia auf der Besucherebene des Reichtags zum Gespräch mit ihrer Wahlkreisbesuchergruppe traf, um kurz danach wieder im Plenum ihre Rede zum Tagesordnungspunkt „Kohleausstieg und Braunkohlesanierung“ zu halten und sich noch am selben Abend zu einem Termin in die Lausitz auf den Weg machte.
Bedeutend entspannter konnten die Kinderdorf-Schüler den Abend genießen, als sie von der Reichstagskuppel aus den Sonnenuntergang über Berlin mitverfolgten. „Das ist really Berlin -Tag & Nacht“ kommentierte einer der Jungs in Anlehnung an die TV-Jugend-Soap das Spektakel, das sich den Besuchern über den Dächern Berlins in diesem Augenblich bot.
Der dritte Tag führte die Reisegruppe nach Potsdam an zwei bedeutende Orte deutscher Geschichte. Zunächst stand eine Führung im Schloss Cecilienhof auf dem Programm, wo im Sommer 1945 Truman, Churchill / Attlee und Stalin das Potsdamer Abkommen verhandelten, das die Grenzziehungen in Europa und die Neuordnung sowie Reparationsleistungen des besiegten Deutschlands zum Inhalt hatte.
Dass ein weiteres Thema der Potsdamer Konferenz, die Entnazifizierung Deutschlands, nicht in letzter Konsequenz umgesetzt wurde, konnten die Reiseteilnehmer beim nächsten Vortrag im Haus der Wannseekonferenz erfahren. Keiner der Teilnehmer dieser „Besprechung mit anschließendem Frühstück“ (Januar 1942), in der es um die logistische Organisation der „Endlösung der Judenfrage“ ging, musste sich für diese Mitwirkung je vor einem alliierten oder deutschen Gericht verantworten. Stattdessen gelangten viele Protagonisten des NS-Regimes in der jungen BRD wieder in Amt und Würden.
Nach drei intensiven Tagen mit politischen Diskussionen und deutscher Geschichte war ein Abendessen bei einer Schifffahrt auf dem Wannsee der verdiente gesellschaftliche Abschluss, bei dem sich die unterschiedlichen Gruppierungen der Besuchergruppe austauschten und Kontakte knüpften. Auch wenn man die Badehose nicht eingepackt hatte – wie von Conny Froboess in den 50er Jahren besungen, waren alle an Bord fasziniert von der Schönheit des Wannsees und der angrenzenden Landschaft.
Das Fazit der Projektgruppe „Tagesthemen“ nach vier Tagen in der Bundeshauptstadt war bei der Ausfahrt aus dem Hauptbahnhof auf einer Werbetafel für eine Berliner Biermarke zu lesen: „Berlin, du bist so wunderbar.“