Lieber Klartext als Schönrednerei


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ima brachte keinen Durchbruch, erklärt Eva Bulling-Schröter in ihrer Rede zur Bilanz der Klimakonferenz, denn solange Klimapolitik auch Standortpolitik ist, wird die vereinbarte Freiwilligkeit von CO2-Reduktionszielen zu wenig führen. Die geplanten 100 Milliarden Dollar jährlich – sofern sie überhaupt zusammen kommen – würden nicht ausreichen, um das Mammut-Projekt zu stemmen.

Rede am 19.12.2014 zum TOP 22 Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Barbara Hendricks zur UN-Klimakonferenz

Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja eine recht verbreitete Meinung, dass Klimagipfel im Prinzip sinnlos sind – aufwändige alljährliche Massenkonferenzen, die ohne wirkliches Ergebnis bleiben. Ich möchte explizit sagen: Ich teile diese Meinung nicht. Ich habe jetzt über ein Dutzend Mal an Klimakonferenzen teilgenommen und halte es für sehr wichtig, dass der Gesprächsfaden zwischen so vielen Ländern mit so unterschiedlichen Interessen nicht abreißt.

Für mich sind die vielen Begegnungen mit Menschen, die direkt unter dem Klimawandel leiden, jedes Mal eine besondere und erschütternde Erfahrung. Ich berichte darüber in Blogs, weil ich diese Probleme der Länder des Südens weitervermitteln will.

Ich hätte aus Lima gerne gute Nachrichten mitgebracht; aber ich möchte lieber Klartext reden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Lima war – anders als hier vermittelt werden soll – kein Minimalkompromiss; Lima war ein trauriger Offenbarungseid dessen, was wir unter internationaler Klimadiplomatie verstehen. Ja, in Peru wurde ein Schritt in Richtung Paris gemacht – das stimmt. Aber nicht jeder Schritt ist zwangsläufig einer in die richtige Richtung. Denn was da in Paris unter großem Tamtam verabschiedet werden wird, das wird vor allem eines sein: eine große Selbstlüge.

Statt den Menschen weiter vorzugaukeln, dass wir in der Klimapolitik Lösungen finden, die den Klimawandel auf das 2-Grad-Limit reduzieren, sollten wir endlich reinen Wein einschenken.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie wissen genauso gut wie ich, dass die künftigen Mechanismen des Pariser Abkommens das Papier nicht wert sind, auf dem es stehen wird. Aber das können Sie natürlich nicht eingestehen, meine Damen und Herren von der Regierung: die einen, weil sie starrsinnig vom eingeschlagenen Weg überzeugt sind, und die anderen, die zwar verstanden haben, dass es so nicht geht, weil ihnen der Mut fehlt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich eines ganz klar sagen: Mit den alten neoliberalen Rezepten wurde die Finanzkrise ausgelöst statt gelöst. Volkswirtschaften wie Griechenland und Spanien haben Sie mit Ihrem Glauben an mehr Markt und mehr Staatsrückbau an den Abgrund manövriert.

Mit den alten neoliberalen Rezepten wurde auch die soziale Frage nicht gelöst. Was wir erleben, ist, dass überall dort, wo Unternehmer freie Bahn haben, die Schere zwischen Arm und Reich immer größer wird. Die 85 reichsten Menschen der Erde sind reicher als 3,5 Milliarden Mitbürgerinnen und Mitbürger. Fast die Hälfte des weltweiten Reichtums gehört einer kleinen Gruppe von 1 Prozent. Auf der anderen Seite verfügt die Hälfte der Menschheit nur über 1 Prozent des weltweiten Kuchens von Besitz und Vermögen. Unfassbar!

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Frage lautet also: Warum sollten zwei typisch neoliberale Instrumente ‑ erstens weniger Verantwortung für die Staaten durch freiwillige Klimaschutzziele und zweitens die Übertragung des Löwenanteils der Klimaschutzfinanzierung auf die Privatwirtschaft ‑ die so dringliche Menschheitsfrage des Klimawandels lösen?

Schauen wir uns den Grünen Klimafonds an, der gerade als das Klimaschutzinstrument überhaupt gefeiert wird. Ich möchte Sie alle fragen: Woher kommt der Optimismus, dass es ausgerechnet der Grüne Klimafonds sein soll, der die große Hebelwirkung entfaltet? Ich finde diese Frage schon berechtigt; denn um die Einzahlungen der Staaten wird aktuell politisch sehr großes Aufheben gemacht.

Frau Ministerin Hendricks, Sie haben in Lima mit dem deutschen Beitrag zum Klimafonds recht ordentlich Imagepflege betrieben; übrigens genauso wie US-Außenminister Kerry oder sein australischer Kollege ‑ die USA und Australien sind Paradebeispiele für neoliberal regierte Industriestaaten ‑, die den Klimaschutzprozess aber weiterhin massiv behindern. Man schmiert sich gegenseitig Honig ums Maul, während in Washington der Teersandboom eingeleitet wird und Berlin sich nicht einmal traut, ein Kohleausstiegsgesetz bzw. keine Exporte von Kohlekraftwerken zu beschließen.

Bis 2020 also sollen jährlich 100 Milliarden Dollar zusammenkommen, um Klimaschutzprojekte und die Anpassung an den Klimawandel in den Entwicklungsländern zu finanzieren ‑ eine gute Sache also. In der Tat hört sich das ja erst einmal nicht schlecht an: 100 Milliarden im Jahr, staatliche und private Gelder.

Was ich mich aber frage, ist: Kann mit den 100 Milliarden im Jahr diese Mammutaufgabe ‑ die Finanzierung der weltweiten Energiewende und der weltweiten Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel ‑ wirklich gestemmt werden? Wie können wir uns darauf verlassen, dass die Privatinvestoren das quasi im Alleingang schaffen, zumal die Zeit, wie wir wissen, drängt? Frau Ministerin Hendricks sagte nach der Klimakonferenz selber im Deutschlandfunk:

Die öffentlichen Mittel sollen im Prinzip die privaten Investorenmittel hebeln. Das kennt man ja als Prinzip.

Ich kann Ihnen versichern: Niemand würde sich stärker wünschen als ich, dass dieses Prinzip auch greift. Schließlich könnte der Grüne Klimafonds ein exzellenter Umverteilungsmechanismus von Reich zu Arm sein. Aber es ist nicht klar, ob die 100 Milliarden überhaupt zusammenkommen; ich sage nur: Stichwort „Schwarze Null“.

Lassen Sie mich daran erinnern: Die Gelder für den Klimaschutz müssen zusätzlich zur Verfügung stellt werden. Sie dürfen nicht, wie es schon gängige Praxis ist, mit den Entwicklungshilfegeldern verrechnet werden. Nicht einmal hier haben die Industrieländer geliefert. Auch Deutschland zahlt nicht wie zugesagt 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für Entwicklung und Armutsbekämpfung, sondern nur gut die Hälfte der eigenen Zusagen, nämlich 0,38 Prozent. Das ist schäbig.

(Beifall bei der LINKEN)

Einen Durchbruch ‑ so reden Sie, Frau Hendricks, den Klimagipfel in Peru schön ‑ kann ich nicht erkennen. Das sind eigentlich nur Brotkrumen, die der Norden den Entwicklungsländern hinwirft. Angesichts dessen braucht man sich nicht zu wundern, dass uns kein Vertrauen entgegengebracht wird.

Wir halten also fest, dass es ohne zusätzliches Geld für die Schwellen- und Entwicklungsländer nicht gehen wird.

Zu den freiwilligen Klimazielen der Staaten will ich nur eines sagen: Solange Klimapolitik auch Standortpolitik ist, wird mit Freiwilligkeit nur wenig erreicht werden. Alles andere zu glauben, wäre wirklich naiv. Um das zu erkennen, braucht man sich nur andere freiwillige Selbstverpflichtungen anzuschauen, zum Beispiel die Selbstverpflichtungen im Bereich der Textilindustrie oder die Sozialkodizes bei OECD-Investitionen. Die Standortpolitik erkennen wir auch in den umweltschädlichen Subventionen, die in Deutschland laut Umweltbundesamt mehr als 50 Milliarden Euro betragen, mit seit 2006 steigender Tendenz.

Also, Frau Hendricks, liebe Regierung: Schenken Sie den Menschen reinen Wein ein, statt von einem Durchbruch in Lima zu sprechen;

(Frank Schwabe (SPD): Wer hat das gesagt?)

denn wir können nur auf der Basis von Erkenntnis handeln. Wir müssen ehrlich sein, und dann müssen wir wirklich handeln.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)